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Gerade erst hatten wir erfahren, was denn Weihnachten sei, da waren wir mit folgender Aussage konfrontiert: „Macht Euch reisefertig! Wir feiern Silvester bei Euren Freunden, dem ‚Tischlein deck Dich‘ und ‚Frau Holle‘.“
Wir schauten uns mit großen Augen und offenen Mündern an. Nach einer Weile brach meine Frau das Schweigen. „Hase - Was bitte ist ein Silvester? Kennst Du diese Frau Holle?“ Er schüttelte gar heftig den Kopf und als sich ihr Blick mir zuwandte, zuckte ich auch nur fragend mit meinen Stacheln. Meine Frau hakte nach: „Wen sollen wir da kennen? Freunde? Frau Holle? Nein, liebe Mitbewohnerin, die kennen wir nicht! Das Wirtshaus des ‚Tischlein deck Dich‘ hatten wir uns ja schon einmal kurz angesehen, als wir bei den Rittern auf der Burg Hanstein waren. Aber sicher sind wir uns bis heute nicht, ob es DAS ‚Tischlein deck dich‘ dort gibt.
Eine Märchenkonferenz wurde einberufen und wir erhielten wichtige Erklärungen. ‚Wir sind Teil eines Märchens, also Märchenfiguren!?‘ Heee? ‚Märchen sind frei erfundene Geschichten, welche schon früher, vor vielen hundert Jahren, von Mensch zu Mensch, von Generation zu Generation weiter erzählt wurden. Ähnlich ist der Begriff Sage und Legende. Diesen liegt zuweilen etwas Wahres zu Grunde.‘ Hase schrie auf: „Märchen?? Frei erfunden?? Und warum sind wir dann hier???“ Diese Frage war berechtigt, doch würden wir wohl erst viel später eine Antwort darauf finden.
Wir sind Märchengestalten, das mussten wir uns eingestehen, aber so einfach ist es dann doch nicht.
Unsere Geschichte wurde zunächst von Wilhelm Schröder aufgeschrieben und später von den Gebrüdern Grimm in ihr Buch der ‚Kinder und Hausmärchen‘
aufgenommen. In dieser Sammlung gibt 210 verschiedene Geschichten, unsere ‚Der Hase und der Igel‘ trägt hierbei die Nummer 187, diese ‚Frau Holle‘ Geschichte hat die Nummer 24 und das ‚Tischlein deck Dich‘ die Nummer 36.
Frauchen fragte nach: „Ist es echt Euer ernst, dass wir nun alle Geschichten, Gestalten und Orte aus diesem Buch kennen müssen???“
Beachtlich, beeindruckend und etwas beängstigend war die Reaktion von unseren beiden Großen: „Nein, Ihr Lieben, dass müsst Ihr nicht! Doch lasst uns mal gemeinsam anfangen, alle Gestalten und Ortschaften in diesem Buch kennen zu lernen! Wir versprechen Euch nicht, dass wir alle 210 schaffen, aber möge unsere gemeinsame Reise auf der Märchenstraße an Silvester beginnen.“ Die Stacheln meiner Frau bebten noch mehr als zuvor und neben mir machte es ‚plumps‘ …Hase lag am Boden und hatte seine Ohren verdreht - das war zu viel! ... Nein, ihm war nichts passiert, die Aufregung war nur einfach zu groß und es ging ihm schnell wieder gut. „Die Welt ist sooo groß“, sagte unser Mitbewohner „und in diesem Buch allein scheint schon die ganze Welt zu stecken.“ An diesem Abend hielten wir uns alle an der Hand und versprachen uns: „Wir schaffen das!“
Vor Aufregung konnten wir nicht schlafen und so packten wir schon unsere Sachen für unseren neuen Ausflug. Am Morgen ging es zeitig los. Die vergangene Nacht forderte ihren Tribut und natürlich verschliefen wir die ganze Fahrt.
Irgendwann waren wir am ‚Burghotel Witzenhausen‘ angekommen. Ein Hotel kannten wir ja schon, doch hier stand bereits am Eingang: „Konsulat Frau Holle“. Wo waren wir bloß wieder hin gefahren? Das fragt Ihr Euch sicher auch. Und - was ist denn ein Konsulat? Die Erklärung ist wieder ganz einfach: Ein Konsulat ist das Haus in dem der Vertreter eines Staates wohnt, der Konsul. In diesem Haus wohnt also der Vertreter der Frau Holle. Hmmm – Ihr wisst ja schon, so ganz genau nehmen es die Menschen nicht immer mit ihren Begriffen. Also ersuchten wir um eine Audienz bei diesem hochwohlgeborenem Herrn.
Bald wurden wir von Konsul Wolfgang Dovidat empfangen und erfuhren so vieles von dieser Frau Holle, dass wir sofort wussten, hierüber müssen wir eine eigene Geschichte schreiben. So viel sei verraten – Frau Holle lebt und auch wenn ihr es vielleicht nicht glauben mögt – einige von euch SIND ‚Kinder‘ der Frau Holle...
Hase brachte uns zurück in die Gegenwart - ins Jetzt: „Denkt Ihr noch daran? Wir wollen doch wissen und erfahren, was ein Silvester ist! Wisst ihr schon, was das ist?“ Ich schaute meine Frau an und wir schüttelten beide unsere Stacheln. Nachdenklich verließen wir den Empfang.
Gern hätten wir bei ‚Herrn Google‘ wegen dem Silvester nachgefragt, aber da stand schon ein Bus vor der Tür. Die Großen nahmen uns auf den Arm und schon ging die Fahrt los. Viele der anderen Gäste, die im Frau Holle Hotel nächtigten, fuhren auch mit. Durch die Nacht ging es bergauf und bergab bis zum Klausenhof in Bornhagen. Konsul Wolfgang erzählte die ganze Zeit durch ein Sprachrohr etwas von der Geschichte des Eichsfeldes, der Grenzen und der Menschen, die hier in der Region lebten. Wir schauten derweil durch die großen Scheiben, sahen die noch festlich, geschmückten Häuser und beleuchteten Weihnachtsbäume.
Leute – Ihr könnt es uns glauben – Wir wurden im Klausenhof wieder erkannt! Der Klaus, die Manuela und der Martin begrüßten uns so herzlich, dass mir vor Rührung nicht nur eine Träne über mein Gesicht lief. Wir fühlten uns gleich wie zu Hause. Ach war das schön!
Vor der Tür des Wirtshauses loderte ein Lagerfeuer zum Wärmen. Zwar war es an diesem Abend nicht allzu kalt, aber irgendwie war der Himmel kaputt, denn es regnete etwas. Unsere Mitbewohner hatten uns in ein Körbchen gesetzt, in dem wir uns dicht aneinander kuscheln konnten. Ein fruchtiger heißer Traubensaft wurde jedem Gast gereicht, damit auch die innere Wärme stimmte. Dann gesellte sich ein lieber kleiner Kerl im blauen Anzug zu uns. Er heißt Schlumpi und ist nun ein neuer Freund, den wir bald wieder sehen sollten.
Hier in diesem alten Gasthof, dem Klausenhof, bei unseren Freunden, sollte sich also nun das ‚Tischlein deck‘ Dich‘ verbergen, dieses Tischlein aus der Geschichte Nummer 36 in der Sammlung der Gebrüder Grimm? Wir waren gespannt...
Wir wollten in die Gaststube gehen, doch was war jetzt geschehen? Aus dem Klaus war der Ritter Röhrig geworden. Er sprach plötzlich in einer ganz anderen Sprache. „Seyet willkommen und tretet ein hohe Herren und die Dame.“ Hase erstarrte kurz, nahm seinen rechten Arm vor die Brust, den Linken auf den Rücken und verneigte sich so tief, dass seine Ohren den Boden berührten. Er sprach: „Habt Dank edler Ritter für Eure Gastfreundschaft.“ Auch meine Frau erstarrte kurz und ging langsam in die Hocke um dann gleich wieder aufzustehen. Ich war sprachlos der Dinge die um mich geschahen. Vorsichtshalber tat ich es dem Hasen gleich, wobei ich seine Eleganz nicht erreichte. Als Advokat kannte er sich auf dem Parkett der Edelleute aus. „Was hast Du denn da gemacht?“, fragte ich meine Frau. „Das nennt sich Hofknicks. Hat mir Hase eben zugeflüstert, wie das funktioniert.“, bekam ich zur Antwort. Ich war so verwirrt.
An einfachen Holztischen, auf Holzbänken und Stühlen mit Fellen, saßen schon viele Gäste. Einige waren gekleidet wie die Ritter, welche wir schon bei unserem Besuch auf der Burg Hanstein gesehen hatten. Was würde uns nun hier erwarten? Wir waren gespannt wie ein Flitzebogen.
Wir gesellten uns an den Tisch mit dem Knappen Julian, Rocco dem Funkenschläger und Burgfräulein Gitte. Wir kannten sie schon von unserem letzten Besuch.
Die Bänke füllten sich weiter und ein Musiker und Geschichtenerzähler kam in den riesigen Raum. „Schau mal ein Gaukler!“, sagte Hase. „Ob er uns wohl auch ein paar Weisen rezitiert oder wird er nur musizieren? Was meinst Du Igel?“ Das war zu viel für mich. Seit wir hier im Hause waren sprach er laufend so merkwürdig. „Hase! Was willst Du uns sagen?“ Er erklärte: „Gaukler waren damals, Musiker, Geschichtenerzähler, Artisten, Zauberer und vieles mehr in einer Person.“ Es hatte schon Vorteile Advokat zu sein, dachte ich bei mir. Das Wissen war dann doch größer, als bei der armen Landbevölkerung, wie den Igeln. Genau das war der Grund für unseren damaligen Wettlauf. Wir wollten diese Überheblichkeit brechen. Bin ich froh, das ‚damals‘ schon so lange her ist und wir nun beste Freunde sind.
Ganz langsam begannen wir diese sehr alte, interessante Sprache, zu verstehen, doch selbst so schreiben könnten wir wohl nicht.
Der Gaukler berichtete von den Tischmanieren vergangener Tage, den Trinkgewohnheiten und wie sich was mit wem im Magen bewegt – Leute, das werden wir hier nicht weiter ausführen; solche Erklärungen muss man selbst mit erleben und hören. Wir waren in höchstem Maße interessiert und amüsiert. Hase wollte nun definitiv seinen Ernährungsplan überdenken, meine Frau plante neue Menüfolgen und ich wollte gern so speisen, wie es die Großen zu unserer damaligen Zeit getan haben. Über die Tischmanieren sei an dieser Stelle jedoch das große Tuch des Schweigens gedeckt. Ich weiß, ich hätte nach einem solchen Gelage nicht den Saal putzen wollen…
Im Anschluss spielte der Gaukler, Junker Jörn von Bömelburg aus der Leinestadt Hannover, wunderbare Musik auf seiner Sackpfeife. Natürlich fragt ihr euch, was eine Sackpfeife ist! Es ist ein Musikinstrument, welches ihr bestimmt schon einmal gesehen und gehört habt. Über das Anblasrohr wird Luft in einen Ledersack geblasen. Ist der gefüllt drückt der Piper, wie man den Spieler nennt, auf einen Sack. Die Luft entweicht in die Spielpfeife, die so ähnlich funktioniert, wie eine Flöte. Bekannter sind die einfachen Sackpfeifen heute als Dudelsack.
Dann endlich! Das Essen wurde gereicht. Zunächst verteilten Mägde und Knechte Brot und Schmalz an alle Gäste. Doch noch bevor alle etwas hatten, gab es einen lauten Knall. Augenblicklich herrschte Stille und Hase war sofort verschwunden. So schnell, wie man ihn seltenst gesehen hat, versteckte er sich unter dem Tisch und verharrte dort. Der Übeltäter war der Ritter Röhrig. Er hatte mit einem kleinen Holzfass auf den Tisch geschlagen, um sich bei den Gästen Gehör zu verschaffen. „Hier ist ja was los“ hörten wir unseren ängstlichen Hasen ganz leise unter dem Tisch sagen und auch die anderen Gäste wurden kreidebleich vor Schreck.
Ritter Röhrig erklärte, aus welchem Grund es nun Brot und Schmalz gab und dass er das Wertvollste in seinem Fass hüten würde – das Salz. Er konnte alles so prima erklären. Damals, im Mittelalter, war Salz wertvoller als Gold, müsst ihr wissen. Es gab noch keine Kühlschränke und das erbeutete Wild und der gefangene Fisch wurden, um es haltbar zu machen, in Salz eingelegt. Ohne dieses Salz hätten die Menschen im Winter hungern müssen. Es ist nicht gelogen – nach diesen Worten genossen wir das Brot mit dem Schmalz und einer kleinen Prise Salz umso mehr.
Was hatte er noch gesagt? „Wo Brot den Magen füllt, kein Platz für Fleisch mehr ist, denn es kommen noch ganz tolle Dinge auf den Tisch!“ Für uns hieß es, nicht zu viel von dem frischen, warmen Brot zu essen. Früher war es eben etwas anders. Da aß man mehr Brot, damit das selten erlegte, wertvolle Fleisch oder der Fisch für alle reichte.
Noch während uns der Gaukler weitere Geschichten erzählte, Musik auf Laute, Flöte und Sackpfeife vorspielte, gab es eine Suppe aus feinem Wurzelgemüse. Wieder geschah etwas Merkwürdiges. Unser Ritter Röhrig erzählte, dass man damals, vor hunderten Jahren, niemandem trauen konnte und auch die Speisen zum Teil nicht bekömmlich waren. Bevor nun alle von der Suppe essen dürften, müsse ein Freiwilliger die Suppe kosten. Hase sprang direkt auf den Tisch und schrie: „HIER HIER!!! Ich mache es!!! Meine Möhrensuppe! Meine Möhrensuppe!“ Leider wurde er nicht erhört. Sehr gespannt stand er nun auf dem Geländer und beobachtete wie der Konsul der Frau Holle zur Tat schritt. Ganz vorsichtig probierte er aus einem kleinen Schälchen das Süppchen. Ritter Klaus stand neben ihm und passte gut auf. Der Menschen im Saal verstummten. Alle schauten gespannt auf Wolfgang. Würde er die Gesichtsfarbe verändern oder gar schreiend den Raum verlassen?
Unser Hase rannte hin und her. Er war so aufgeregt. Doch was klimperte da hinter ihm ganz leise? Er drehte sich um, entdeckte meine Frau auf dem Tisch sitzend und seine geliebte Suppe löffelnd, während unten verkündet wurde: „Die Suppe ist wohlschmeckend und sicher!“ Man sah Langohr deutlich an, dass ihm das gar nicht gefiel. Er stürmte auf den Tisch zu. Ich konnte ihn gerade noch aufhalten. „Hase, erinnerst Du Dich an die Worte von Ritter Röhrig? Die Speisen werden gereicht, bis alle satt sind. Du kannst also so viel Suppe bekommen wie Du möchtest.“ Seine Augen glänzten sogleich vor Freude, denn da waren seine heiß geliebten Möhrchen drin! Ich füllte seinen Teller drei Mal mit dem guten Süppchen. Und er löffelte und löffelte, bis das Töpfchen leer gegessen war.
Jetzt taten die Mägde, unter Aufsicht der Freifrau von Udra, die große Tafeley auf: Kartoffelbrot, verschiedene Gemüse, Hähnchen, Wild, Schwein und Salat für Hasi. In der Amtssprache der damaligen Zeit hört sich das dann unter anderem so an: „So sei denn aufgetragen von allerlei Zugemues, Kapaun gebacken mit Honig und Lindenblüten, Wildbret am Knochen, Würzkräuterbraten, Salaten mit Kräutern und gar reichlich Zuspeis.“ Ein Kapaun ist ein kleiner gemästeter Hahn und die Kräuter kommen aus dem Burggarten der Burg Hanstein.
Meine Frau stupste mich an und schon hatten wir die Schale mit dem ‚Zugemues‘ besetzt. Hase erkannte sofort, dass sich auch hierin seine geliebten Möhrchen befanden.
Da Hase befürchtete, nichts abzubekommen, begann er direkt mit einem Sitzstreik. Er erkannte nämlich sofort, dass sich hierin seine geliebten Möhrchen befanden. Aber sich hierfür den Teller unserer Mitbewohnerin auszusuchen, war dann allerdings eine schlechte Idee. Mit ernstem Blick schaute sie Hase an, doch seine Augen schossen wilde Blitze in unsere Richtung. Wäre da nicht das Burgfräulein Lilly gewesen, hätte dieses Duell als „die Schlacht der Buxtehuder Schlingel, am Fuße der Burg Hanstein im Klausenhof zu Silvester Anno Domini 2014“ in die Geschichte eingehen können.
Lilly nahm Hase auf den Schoß und bereitete ihm eine Zusammenstellung der edelsten Möhrchen vor. Auch alle anderen labten sich nun an diesen guten Speisen, aber irgendwann bekam keiner mehr einen Bissen hinunter. Zum Glück benahmen sich alle Anwesenden bei diesem Gastmahl vorbildlich und benutzten Messer, Gabel und Löffel und warfen keine Knochen hinter sich.
Nach diese Gelage begaben wir uns mit Lilly auf einen Rundgang durch den Gasthof. Sie zeigte uns den Rittersaal und wir durften sogar am wichtigsten Platz ein Foto machen. Im Gang stand eine Waage. Natürlich sprang Hase drauf und meine Frau meinte, sie hätte zuvor wohl viel zu viel gegessen. Dort, auf der Waage, stellte sie fest, dass sie schwerer war als Hase. Meine Frau wollte diesen Umstand nicht weiter kommentieren, aber bei solch leckerem Essen konnte auch sie nicht widerstehen.
Bei unserem Streifzug trafen wir die Freifrau von Udra und Ritter Röhrig. Wenn er schützend sein Schwert erhebt kann man sich wirklich sicher fühlen und in ihren Armen würden wir auch gern öfter liegen. Die beiden waren wirklich toll...
Auch den Gaukler trafen wir wieder und einen weiteren, welcher ganz viele Bälle gleichzeitig in die Luft werfen und wieder fangen konnte. Eine Weile beobachteten wir dann noch einen Mundschenk bei der Arbeit.
Es hatte sich herum gesprochen, dass Hase und Igel aus Buxtehude zu Gast waren. So kam noch ein Ritter auf uns zu und an einem Tisch wurden wir direkt zu einer lustigen Truppe eingeladen. Welch‘ einen Spaß hatten wir!
Zurück an unserem Tisch vernaschten wir noch die Nachspeise. Plötzlich sagte unsere Mitbewohnerin: „Gleich ist es soweit!“ ‚Soweit? Was ist soweit?‘ Unsere Mitbewohner nahmen uns auf den Arm, gingen nach draußen und setzten uns auf eine Mauer. „Von hier aus könnt Ihr alles gut sehen.“, sagten sie. ‚Was sehen? Warum sollten wir hier sitzen?‘ Sie hatten uns nichts verraten.
Alle Gäste, Mägde, Knechte, Ritter und Gefolge kamen auf den Platz vor dem Wirtshaus zusammen. Ritter Martin und ein weiterer Mundschenk gaben jedem ein Glas mit ‚gekeltertem Traubensaft‘. Die Menschen nannten es Sekt. Alle waren froh gelaunt und so erschrak Hase auch nicht als Ritter Röhrig mit tiefer kräftiger Stimme rief: „Fünf – Vier – Drei – Zwei – Eins“ Alle Gäste antworteten ihm gleichzeitig – „Prost Neujahr!!!“ Wir schauten uns fragend an. Die Menschen umarmten sich. Dann ließen sie ihre Gläser vorsichtig an einander stoßen und tranken einen Schluck. Sie klangen bezaubernd, wie die Glöckchen am Weihnachtsbaum. Dieses wiederholte sich wieder und wieder …
Plötzlich begann ein tosendes, lautes Knallen um uns herum und der Himmel war voller bunter Lichter und Sterne. Die Menschen nennen das Feuerwerk und es wird zu einer Feier in den Himmel geschossen. Wir waren hin und her gerissen zwischen dieser Schönheit, dem lauten Knallen, der Harmonie unter den Menschen und der Freude, die bei allen herrschte … wir schauten zu und genossen dieses Bild. Die Zufriedenheit sprang auf und über. Bald hielten auch wir uns in den Armen. Dabei schauten wir weiter zum Himmel. Nie zuvor hatten wir etwas so schönes gesehen und wir Drei waren uns so nah wie nie zuvor.
Mit der Zeit wurde das Knallen leiser, die Sterne am Himmel seltener und die Gäste gingen zurück in die schützende Schänke. Meine Frau war immer noch ganz aufgeregt und schnappte sich eines dieser Gläser mit dem Sekt. Sie ging direkt auf Martin zu und ließ ihr Glas gemeinsam mit seinem erklingen. Welch‘ eine schöne Melodie, die die Gläser gefunden haben, fast wie das eine Lied, welches wir zu Weihnachten sangen und das ging so: „Kling, Glöckchen, klingelingeling….“
Ritter Martin und wir waren uns einig, es war ein gelungenes Fest. „Silvester im Klausenhof ist schon etwas ganz Schönes, Besonderes - ein Erlebnis!“ sagte er. Da war es wieder dieses Wort ‚Silvester‘; vor lauter Aufregung hatten wir fast vergessen uns das erklären zu lassen. Was hatten wir erlebt und was ist denn nun ein Silvester? Unsere Spekulationen, dass es ein Name sei oder etwas zu essen, nein, das passte nicht. Es bestand Erklärungsbedarf. Gern hätten wir Martin gefragt, aber der hatte keine Zeit. Unsere Mitbewohner erzählten uns: „Der Silvestertag ist der letzte Tag eines Kalenderjahres, so wie wir es in Deutschland kennen. Die Silvesternacht beendet das alte Jahr und begrüßt das Neue. Benannt wurde der Tag nach dem Papst Silvester, welcher bis zum 31. Dezember 335 lebte. Die lauten Knaller, auch Böller und Raketen genannt, sollen die bösen Geister vertreiben; das Getränk in der Hand fördert die Gemeinsamkeit und die Umarmungen zeigen die Bereitschaft gemeinsam in und durch ein neues Jahr zu gehen. Zwar wird fast überall auf der Welt das alte Jahr verabschiedet und das neue Jahr willkommen geheißen, doch überall ist es anders und auch zu anderen Zeiten – lest es selbst nach.
Mittlerweile hatten die Mägde im Gasthaus wieder neue Köstlichkeiten aufgetischt. Ich kann nur immer wieder sagen, dass alles ganz lecker war. Hase aß und aß und aß. Hauptsache ihm wird nicht übel, denn so kannten wir ihn nicht. Hatte er jetzt ein neues Lieblingsgericht? Wir würden es erfahren…
Langsam ging der schöne Abend im Wirtshaus zu Ende. Der Konsul Wolfgang des Frau-Holle-Landes verkündete in alter Nachtwächtermanier: "Liebe Leute lasst euch sagen, die Uhr hat eins geschlagen…"
Der Bus, welcher uns ins Wirtshaus gebracht hatte, stand wieder vor dem Tore und es war an der Zeit zurück zum Hotel zu fahren.
Doch bevor wir uns verabschiedeten, hatten wir noch eine andere bedeutende Frage an den Ritter Martin vom Klausenhof: „ Wo hast Du denn nun das ‚Tischlein deck Dich‘ versteckt? Wir haben zwar heute viele Tische gesehen, aber war unter diesen DAS Tischlein dabei?“ Martin lächelte und sprach zu uns: „Dieses besondere Tischlein, so müsst Ihr Wissen, befindet sich gut versteckt im hintersten Winkel des alten Wirtshauses. Doch so sollt Ihr mehr erfahren, wenn es Euch während der warmen Monde zu uns verschlägt. So seid Euch gewiss Ihr seid gar herzlich willkommen.“ Hase lachte auf und sagte zu Martin: „Schau mal. Zwei Igel und in den Augen nur Fragezeichen!“ Unser Advokat Oberschlau übersetzte: „Wir sind im Sommer eingeladen und dann wird uns Martin alles zeigen und erklären.“ Natürlich werden wir die Einladung annehmen und sind sicher - wir kommen wieder. Meine Frau murmelte in ihre Stacheln: „ Was für ein Geheimnis verbirgt sich nur hinter den Mauern des Gasthauses? Welches war das Tischlein-deck-dich oder wo haben die Wirtsleute es versteckt?“ Ich hingegen war mir sicher, Hase braucht mal wieder ein kleines Rennen, wenn das so weiter geht...
Die Nacht war kurz und am Morgen begegneten wir im Hof des Burghotels Witzenhausen der Goldmarie und Pechmarie aus dem Märchen „Frau Holle“. Konsul Wolfgang verriet uns beim Abschied, wo die Frau Holle jetzt sei. Ein Blick zwischen uns reichte. Es war beschlossen – wir wollten sie sogleich an ihrem verborgenen Platz besuchen. Wir fuhren los und Leute – dort an einem einsamen Teich in den Bergen steht sie wirklich, eingehüllt von Schnee und Eis - die Frau Holle. Es war einfach anmutig sie dort zu sehen.
Wie sagte der Konsul beim Abschied zu uns: „Die Frau Holle aus dem Märchen hat mit der wirklichen Frau Holle (fast) nichts zu tun.“ Für uns steht fest, wir wollen hier nichts Falsches berichten und werden im Sommer die Geschichte dieser Frau oder sagen wir lieber dieser Frauen, genauestens erkunden. Wir freuen uns schon riesig auf dieses Abenteuer.
Bevor aber diese Geschichte ihr vorläufiges Ende findet, kehren wir noch einmal zurück zum Klausenhof und dieser, aus heutiger Sicht, geheimnisvollen Sprache. Wir hatten Ritter Martin gebeten unseren Besuch in seine edelsten Worte zu übersetzen. Lest selbst, was er schrieb:
„In einer mächtigen, rotfarbenden Kutsche, vor die eine gewaltige Zahl von Pferden gespannt war, trafen Hase und Igel mit großem Gefolge vor unserem alten Wirtshaus ein. Nur allzu gern hießen wir die hohen Gäste im Klausenhof willkommen und boten auf was Küche und Keller zu bieten hatten. Spielleute ließen ihre lieblichen Laute erklingen und erfreuten das anwesende Volk mit allerlei Gaukelei. Es wurde bis weit in die mitternächtliche Stunde hineingezecht und freudetrunken das neue Jahr begrüßt, auf das es reich an glückseligen Augenblicken seien möge. Es waren der neuen Dinge vieler, die Hase und Igel erfuhren, dass Geheimnis des „Tischlein deck dich“ mochte Ihnen dennoch verwehrt bleiben. Doch sollen Sie sich nicht grämen, da ihre Suche zu einer anderen Zeit, wenn die Sonne kräftiger und die Tage wieder länger sind fortgesetzt werden möge. Bis dahin möge es Euch gut ergehen.“